In der 1. Ausgabe des Newsletters (September/Oktober) erzählt Dr. Franziska Frank …
Demut und hoher Status – ein Widerspruch?
von Dr. Franziska Frank
Autorin und Sparringspartnerin
Kaum einer denkt an Demut, wenn jemand charismatisch die Bühne beherrscht. Frage ich meine Teilnehmer, was negative Folgen von Demut sind, antworten sie: Sich unter Wert verkaufen, einen niedrigen Status haben, schwach wirken.
Dabei passen Demut und hoher Status zusammen wie Charisma und Jacinda Adern, Nelson Mandela, José Mujica und Barack Obama.
Um das besser zu verstehen, muss man sich das Konzept von Demut genauer ansehen. Knackig definiert ist Demut nichts Anderes als der “egofreie Blick vom Balkon”. Konkret anwendbar machen ca. 50 internationale Forscher diese Egofreiheit mit vier Unterelementen:
- Die eigenen Schwächen und Stärken erkennen und zeigen, soweit es für das größere Ganze sinnvoll ist
- Andere anerkennen für das, was sie tun und können
- Immer lernbereit und offen sein
- Verstehen, dass wir nur ein kleiner Teil eines größeren Ganzen sind, sehr von Glück und Umständen begünstigt
Ich vermute, dass Sie diese Definition – wie 97% meiner mehr als 4.000 Forschungsteilnehmer – auch gerne kaufen und sich nun explizit Demut in anderen und in sich selbst wünschen. Der Nutzen davon wäre klar: Demut hat mehr als 20 positive, messbare Effekte zu vermelden – so macht sie z.B. Mitarbeiter innovativer, produktiver und williger, Verantwortung zu übernehmen. Das Unternehmen profitiert mit besserer Fehlerkultur und stärkerer Kundenorientierung. Auch der demutsvolle Mensch selber profitiert durch bessere Beziehungen mit anderen, weniger Stress und mehr Resilienz. Auch wird er als stärker und leistungsfähiger wahrgenommen.
Dennoch mögen Sie sich sorgen, dass Demut mit niedrigem Status gekoppelt ist und Sie weniger bewirken lässt.
Diese Sorge kann ich mit zwei Argumenten aus dem Weg räumen:
Erstens können demutsvolle Menschen bestens auf der Statusklaviatur spielen. Warum? Der egofreie Blick vom Balkon verlangt in vielen Situationen, Stärke zu zeigen. Denn wenn Sie freiwillig eine Rolle übernommen haben, müssen Sie manchmal in den Konflikt gehen oder auf den Tisch hauen. Das heißt, oft ist es Ihre Pflicht, sich hohen Status zu geben, ebenso wie es manchmal Ihre Pflicht ist, in den Hintergrund zu treten. Nicht wegen Ihres Ego, sondern für Ihre Rolle. Dazu dieses schöne Beispiel aus einem meiner fast 200 Interviews für mein Buch zu Demut und Führung.
Markus Sontheimer war zum CIO bei DB Schenker, einem Unternehmen mit 76.000 Mitarbeitern, ernannt worden. Ein paar Wochen später fand das erste Global Leadership Meeting statt. „Ich ging durch den Raum und stellte mich vor. Als ich dran war, mich an die gesamte Gruppe zu wenden, sagte ich unter anderem: ‚Ich bin nicht euer Sklave. Die IT muss auf Augenhöhe mit dem Business sein. Wir sind nicht dazu da, einfach etwas zu implementieren – aber wir können Euch unterstützen, so wie ihr uns unterstützen könnt.‘ Einige meiner Mitarbeiter waren bei dem Meeting dabei und waren schockiert. Kein CIO hatte jemals so deutlich gesprochen. Aber ich musste mich zum Wohle der Abteilung und des großen Ganzen klar positionieren.“
Hier nimmt sich Sontheimer hohen Status, weil ihm der egofreie Blick vom Balkon zeigt, dass seine Abteilung diesen braucht, um im Unternehmen das Notwendige bewirken zu können. Denn derjenige, der hohen Status hat, bekommt mehr Ressourcen und Aufmerksamkeit. Bei Sontheimer klappte das so gut, dass er mittlerweile CIDO bei ISS ist, einem Unternehmen mit mehr als 350.000 Mitarbeitern.
Eine weitere Geschichte aus meinen Interviews zeigt, wie aus Demut die Pflicht und die Fähigkeit sowohl zu niedrigem, als auch hohen Status erwachsen.
Wir wollen sie Jo nennen. Sie wurde Leiterin der Personalabteilung eines großen mittelständischen Unternehmens mit 20.000 Mitarbeitern. Schnell führte sie notwendige statusrelevante Veränderungen ein: Sie zog aus dem plüschigen Executive Office in ein normales Büro, in dem sie gemeinsam mit ihrer Assistentin sitzt, um sich leicht ansprechbar zu machen. Sie führte das „Du“ ein, um enge Hierarchien zu schwächen und verbringt viel Zeit mit Mitarbeitern auf allen Ebenen, um deren Bedürfnisse und Herausforderungen zu verstehen – nicht von oben, sondern auf gleicher Ebene.
Aber es gibt eine wichtige Grenze, was Status angeht. Eine der Quellen der Macht im Unternehmen ist die äußere Zurschaustellung eben dieser Macht mittels eines prächtigen Dienstwagens. Alle der 28 Topmanager fahren große BMWs. Sie persönlich hätte lieber keinen. Warum nicht?
Ich liebe diese Stelle, denn wie ich im Telefonat, denken hier die Meisten: „Typisch Frau, legt keinen Wert auf ein cooles Auto“ – und damit liegen wir grottenfalsch (was ich auch liebe, wie oft wir daneben liegen). Denn sie will den BMW nur deswegen nicht, weil sie privat einen Jaguar fährt!!
Aber aus ihrer Rolle heraus versteht sie, dass es für die Mitarbeiter ihrer Abteilung wichtig ist, sie auf Augenhöhe mit den anderen Prokuristen zu sehen und sich als Abteilung stark und ebenbürtig präsentiert zu fühlen. Auch wäre es für ihre Durchsetzungskraft katastrophal, sollten sich CEO oder Kollegen im Topmanagement indirekt angegriffen fühlen, dadurch, dass sie mit einem kleinen SMART auf den Hof rollt. „Die ist neu und will anders sein! Will uns als abgehobene Deppen vorführen.“
So brachte Demut sie dazu, die notwendige Hochstatuskarte zu ziehen. Sie nahm den BMW! Weil der egofreie Blick vom Balkon das als notwendig zeigte.
Muss sie den BMW immer behalten? Vermutlich nicht. Denn sobald sie sich im Unternehmen demutsvoll mit Schwächen, Stärken, Anerkennung, Offenheit sowie einen Blick fürs größere Ganze etabliert hat, kann sie aus diesem Statusspiel aussteigen.
Der zweite Punkt, warum Demut Hand in Hand mit hohem Status geht, liegt daran, dass Demut mit Charisma verwoben ist, wie wir schon bei den Namen der Politiker oben gemerkt haben. Und Charisma generiert hohen Status. Was genau ist dieses sagenumwobene Charisma? Laut der Forschung von Prof. Antonakis (HEC) nichts weiter als 12 Führungstaktiken, die stark an Rhetorikseminare erinnern – 9 verbale wie Einsatz von Metaphern, Dreierlisten und Anekdoten etc. sowie 3 nonverbale wie Stimme, Mimik und Einsatz von Gesten. Da ist es kein Wunder, dass Charisma erlernbar ist. Trainiert man mit Schauspielern, wird man nach nur 5 Stunden noch mehrere Monate später als messbar charismatischer wahrgenommen. Und da demutsvolle Menschen wissen, dass fast alles lernbar ist, sind sie auch bereit, sich darauf einzulassen und so charismatisch zu werden, wie es die freiwillig übernommene Rolle braucht. Das heißt: Wenn Sie demutsvoll sind und den Vereinsvorsitz oder die Leitung einer Abteilung annehmen, ist es einfach keine Option, die witzige Weihnachtsrede nicht halten zu wollen oder zu können. Wenn Sie demutsvoll sind, setzen Sie sich hin und lernen selber wie es geht, oder holen sich einen Coach. Und nach etwas Übung strahlen Sie das notwendige Charisma und den notwendigen hohen Status aus.
Diesen Link zwischen Charisma und Demut bestätigt auch ein Interview mit der Personalleiterin eines Unternehmens mit 70.000 Mitarbeitern: „Wenn Sie demutsvoll sind, sind Sie charismatischer und alle Stakeholder werden Sie mögen. Das macht es einfacher, andere zu beeinflussen und erfolgreich zu sein.“ Der letzte Haken kommt von der Forschung: Demutsvolle Führungskräfte werden insgesamt als charismatischer angesehen als demutslose (Chiu & Owens, 2013). Punkt!
Grandioses Fazit also: Demut erlaubt jede Form von bewusster Statuswahl: Zwei CEOs erzählten mir, dass sie sich oft dümmer stellen als sie sind, damit sich ihre Mitarbeiter gut fühlen – sie wählen also bewusst einen niedrigen Status, für das, was sie als größeres Ganze sehen. Und dann nehmen sie sich auch bewusst hohen Status mit Charisma, um für Wandel zu begeistern, oder Ressourcen bei Aktionären zu erkämpfen.
Der demutsvolle Mensch hat verinnerlicht: Wir sind nicht immer dieselben Menschen. Wir passen uns der Situation an. Demut, also der „Mut“ zu „dienen“ und zwar der Situation, dem Unternehmen, dem Team, und auch sich selber, erlaubt und zwingt uns dazu, hohen Status anzunehmen, wenn die Situation das verlangt.
Trainieren also auch Sie den egofreien Blick vom Balkon und geben Sie sich den Status, den die Situation von Ihnen verlangt.
Dr. Franziska Frank
FranziskaFrank.com
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Dr. Franziska Frank ist Visiting Lecturer an der ESMT Berlin. Daneben arbeitet sie freiberuflich als Autorin, Keynote Speaker und Sparringspartnerin in drei Sprachen: Deutsch, Englisch und Russisch. 2021 erschien ihr Buch „Mit Demut zum Erfolg. Leadership im 21. Jahrhundert“. Im Jahr 2023 folgte die englische Ausgabe sowie eine erweiterte deutsche Neuauflage, beide von Bestsellerautor Adam Grant empfohlen. Weitere Neuauflagen werden 2026/7 folgen.